Michael Alders "einfache Architektur" gelebt. Die Siedlung Vogelbach in Riehen, 1992-2024
Yeshi Wang, 2024

Die vorliegende Arbeit untersucht die sozialen, ökonomischen und ästhetischen Versprechen der «einfachen Architektur» anhand der Bauten des Basler Architekten Michael Alder, insbesondere der 1992 fertiggestellten Genossenschaftssiedlung Vogelbach in Riehen, Schweiz.
Angesichts der aktuellen Klimakrise und der sich verschärfenden sozialen Ungerechtigkeit wird die nach 1970 von westeuropäischen Architekten formulierte Idee der «einfachen Architektur» wieder aufgegriffen. Durch die Einfachheit erhoffte man sich damals eine Einsparung von Ressourcen und Kosten und eine Förderung der Nutzerbeteiligung. Gleichzeitig sollte eine Architektursprache etabliert werden, die sowohl sozialer Verantwortung als auch ästhetischem Anspruch gerecht werden konnte. Als Vorbild galt die „Architektur ohne Architekten“, darunter verstand man eine Einheit von gebautem Raum und Leben, die durch die optimale Nutzung begrenzter Ressourcen erreicht werden sollte. Diese Architekturposition erreichte nicht die breite Öffentlichkeit wie die spätere minimalistische Architektur in der Schweiz, die Einfachheit als ästhetisches und intellektuelles Kriterium nutzte und ihr soziales Potential vernachlässigte.
Der Basler Architekt Michael Alder (1940-2000) gehörte zu dieser Bewegung. Von Kindheit an mit der bäuerlichen Architektur und Lebensweise vertraut, verstand er sich als Baumeister denn als Architekt. Während seiner Lehrtätigkeit an der Ingenieurschule beider Basel unternahm er mit den Studenten Feldforschungen zur ruralen Architektur, um deren Umgang mit lokalen Gegebenheiten und Alltagsbedürfnissen sowie deren typologische Lösungen zu studieren. Mit diesen Erkenntnissen wollte er sich für eine einfache und humanistische Architektur einsetzen.
Die formale Verwandtschaft zwischen Alders Architektur und der ländlichen Bauten ist gut erkennbar. Doch inwiefern sind sie auch in ihrem Grundsatz vergleichbar? Ist seine Architektur auch unter Kosten- und Ressourceneinschränkungen einfach gebaut? Alder will durch Einfachheit den Nutzern ermöglichen, ihr Leben zum Ausdruck zu bringen. Wird seine Architektur diesem Anspruch gerecht? Fördert die Einfachheit mehr Aneignungsmöglichkeiten, oder ist sie eine aufgesetzte Ästhetik, hinter der sich die eigene künstlerische Vorstellung des Architekten verbirgt?
Im ersten Teil der Arbeit befasse ich mich mit der Wechselwirkung zwischen dem historischen Kontext, Alders Theoriebildung und Architekturpraxis. Im zweiten Teil untersuche ich die 38 Wohneinheiten umfassende, seit dreisig Jahren bewohnte Genossenschaftssiedlung Vogelbach in Riehen aus der Perspektive der Nutzer. Gestützt auf mehreren Aufenthalten vor Ort, Gespräche mit Bewohnenden, Archivmaterial und anhand eigener Zeichnungen analysiere ich, wie die Innen- und Aussenräume gelebt, angeeignet und verändert wurden und inwiefern die Einfachheit im Gebrauch von Bedeutung ist.
Die Studie zeigt die Vielschichtigkeit von Alders Verständnis von Einfachheit. Sie ist für ihn das Prinzip anpassungsfähiger Grundrisse und bedeutet einen ökonomischen Umgang mit Ressourcen. Gleichzeitig wird sie von ihm als Ästhetik festgehalten. Seine Behauptung, durch Einfachheit Aneignung zu provozieren, wird oft von ihm selbst widersprochen, weil er seine Architektur nicht dem Nutzer überlassen will. Schliesslich erweist sich seine Hoffnung, sozialen Anspruch allein durch formale architektonische Massnahmen zu erlangen, als unzureichend. Ob Aneignung oder Gemeinschaftsbildung tatsächlich stattfinden, hängt von vielen Faktoren ab. Die Einfachheit könnte jedoch eine gute Voraussetzung für die Nutzer bieten, damit zu beginnen.