HS23: Steuern: Eine Architekturkritik

Seminar Architektur und Stadt I/III (056-0001-01)
Veranstalter: MAS GTA ETH
Dozierende: Dr. André Bideau, Dr. Susanne Schindler
Zeit: 14–17.30 Uhr
Ort: HIT H 42
Das Seminar Steuern: Eine Architekturkritik beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Steuern und gebauter Umwelt. Wie befördern die Dispositive der Architektur— superdichte Bürotürme in Hong Kong oder ein Kunstprodukt wie «Andermatt Swiss Alps»— die weltweit wachsende Ungleichheit? Wie wirken sie indirekt auf die damit verbundenen Steuersysteme ein? Umgekehrt gefragt: Welche Konsequenzen für die Häuser, Plätze und Infrastruktur der Schweiz haben fiskalische Formeln wie Eigenmietwert oder Mehrwertausgleich, die OECD-Mindeststeuer auf Unternehmen oder die steuerliche Bevorteilung von Stiftungen? Wo, wie und für wen wird Steuergesetzgebung räumlich wirksam? Über die Analyse der konkreten, gebauten Umwelt erschliessen wir uns einen neuen Blick auf die gesellschaftlichen Prioritäten, die in einem Steuersystem kodifiziert sind. In einer Demokratie werden diese Prioritäten politisch ausgehandelt, so auch die zentrale Frage der Umverteilung von Wohlstand durch Steuergesetze.
Um uns der Wechselwirkung von Steuern und gebauter Umwelt anzunähern, müssen wir diese Umwelt in ihrer räumlichen Beschaffenheit und in ihren verschiedenen Massstäben begreifen: vom Fenstermaterial bei einer Einfamilienhaussanierung bis zur Grenzziehung bei einer Arealüberbauung. Eine zentrale Rolle bei der Schöpfung oder Anordnung von Werten in solchen Neu- oder Umbauprojekten spielen Architekten und Architektinnen. Denn so wie Bautätigkeit zumeist untrennbar mit einer spekulativen Akkumulation von Kapital verbunden ist, beruht die Architektur selbst auf der spekulativen Dimension des Entwurfs.
Somit will Steuern: Eine Architekturkritik auch einen Ansatz zur Gesellschafts- und Wirtschaftskritik durch das Medium Architektur liefern. Ziel ist Sichtbarmachung durch genaues Beobachten und Beschreiben. Oft nur schwer begreifbare Beziehungen sollen greifbar gemacht werden. Wir betrachten im Seminar spezifische räumliche Situationen im Kontext von aktuellen oder historischen Steuergesetzgebungen, darunter auch den Zusammenhang von Architektur und gesellschaftlicher Ungleichheit. Angeschlossen wird dabei an die vor zehn Jahren mit Thomas Pikettys Weltbestseller Das Kapital im 21. Jahrhundert (2013) angestossenen Debatten, die bislang nur punktuell mit Bezug auf die gebaute Umwelt und die Architekturgeschichte geführt worden sind.